Sturm auf Berlin

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Das Museum des Großen Vaterländischen Krieges, Poklonnaja Gora, in Moskau ist der Erinnerung an den Sieg der Roten Armee über den Faschismus im Zweiten Weltkrieg gewidmet. Der gigantische Baukomplex im Westen der russischen Hauptstadt wurde 1995 während der Ära Jelzin eröffnet; der Plan zur Errichtung einer solchen Gedenkstätte ging allerdings schon auf einen ZK-Beschluss von 1957 zurück. Auch im Russ­land 2.0 repräsentiert dieser symbolbeladene Ort das Herzstück der offiziellen postkommunistischen Staatspolitik, wie es die Feierlichkeiten zu den Jahrestagen des Sieges über Nazi-Deutschland immer wieder gezeigen.

Der Videoarbeit Sturm auf Berlin liegt eines der sechs Schlachten­dioramen zugrunde, die im Untergeschoss von Poklonnaja Gora, vielbesucht, gezeigt werden. In einer Kombina­tion aus Malerei und realen Objekten zeigt die museale Installation eine Kampfszene der Sowjetarmee in Berlin vor zerbombten Häusern und dem brennenden Reichstag. Historischer Bezug ist die finale Schlacht um Berlin vom 16. April bis zum 2. Mai 1945, die mit der Besetzung des Reichstagsgebäudes am 30. April durch die Rote Armee und der endgültigen Kapitulation der Deutschen Wehrmacht am 2. Mai 1945 den Zweiten Weltkrieg beendete.

Die Videoinstallation Sturm auf Berlin besteht aus zwei separaten Arbeiten: Das Moskauer Berlin-Diorama wurde in zahlreichen Fotografien abschnittweise aufgenommen. Daraus wurde ein digitales Großbild montiert, das schließlich ausschnitthaft, wie unter einer Maske liegend, in langsamer Geschwindigkeit im Digital­video abgetastet wird.
Die zweite Arbeit wurde ebenfalls im November 2009 im Ausstellungsraum gedreht: Die Standkamera nimmt in Echtzeit die Betrachter auf. Dieser Film ist teilweise mit Ton unterlegt, man hört die Rede der Frau, die eine Gruppe Jugendlicher durch die Ausstellung führt. (Text: Karin Görner, Fotos: Bernd Fickert)

 

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Sturm auf Berlin  Storming of Berlin
Galerie Anita Beckers, Frankfurt am Main 2010
2 Channel Video Installation / Exhibition Views

 

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Sturm auf Berlin. Diorama: Ansicht 1
Storming of Berlin. Diorama: View 1
Moscow 2009/10
Photographs / Digital Montage / Digital Video
Quicktime Movie H.264 / 1024×768 / 25 p
Mute. 1 h 20 min. Loop

 

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TEXTÜBERSETZUNG:
Tonaufnahme im Diorama-Raum Sturm auf Berlin.
Moskau, November 2009 

STIMME DER MUSEUMSFÜHRERIN:

… Kinder, vor Euch ist nun die letzte Schlacht, ja die schwerste.
Ihr seht den Sturm auf Berlin.

Die Operation “Berlin” begann am 16. April 1945.
Wir haben den Feind auf unserem Vormarsch geschlagen und gingen zum direkten Sturm auf Berlin über.
Ihr seht vor Euch den 30. April. Erst nach zwei Wochen gelang es uns, zum Stadtzentrum vorzudringen, zum Königsplatz. Er liegt vor Euch, der Königsplatz.
Er ist mit faschistischen Panzern zugestellt und durchzogen von Schützengräben. Der Feind hat Barrikaden gebaut, um der Russischen Armee den Weg zu versperren: unseren Panzern, unseren Kanonen und unseren Soldaten.

Aber gibt es denn auf der Welt solche Feuer, solche Qualen und solche Kraft, die stärker sein könnten als die russische Kraft?

Hier sind die Einheiten der 3. Gardearmee. Ihr Befehlshaber ist der Generaloberst Wassilij Iwanowitsch Kusnetzow, von dem ich schon im ersten Diorama gesprochen habe. Ihm hat man das Vorrecht gegeben, den Reichstag zu erobern, den Ihr in der Mitte des Platzes seht.

In der Friedenszeit, Kinder, hat in diesem Gebäude das deutsche Parlament gearbeitet, und jetzt ist es die letzte Festung Berlins, wo sich die treuesten, fanatischsten Einheiten der SS, ungefähr 6000 Soldaten, konzentrieren. Sie sind bis an die Zähne bewaffnet, und sie sichern die Fensteröffnungen und die Türen.

Wir haben uns unter größten Anstrengungen ins Stadtzentrum vorgekämpft.

Links, schaut mal, ganz weit, eine Brücke, die Moltke-Brücke über der Spree, eine von ehemals sechs Brücken, die noch übrig geblieben ist. Wir passieren die ausgebrannten Gebäude der Gestapo und des Generalstabs und beginnen den Sturm auf den Reichstag.

Wir haben den ganzen Tag den Reichstag bestürmt, und am Abend des 30. April, um elf Uhr, begann ein schwerer Angriff. Zuerst setzten 76-mm-Kanonen ein, dann folgten 45-mm-Kanonen, und nach dem dritten Angriff gelang es uns, in das Innere des Reichstags vorzudringen und dort weiterkämpfen.

Vorn im Schützengraben seht ihr drei Kämpfer mit der roten Fahne. Links steht der Oberst Sintschenko, Kommandeur des 756. Schützenregiments der 3. Garde­armee. Er übergibt die Fahne an zwei seiner Kämpfer, seine zwei Freunde, an den Untersergeant Meliton Kantarija, Georgier von der Nationalität, und an den russischen Sergeanten Mikhail Egorow mit folgenden Worten: „Diese Fahne des Kriegssowjets der 3. Gardearmee – Ihr müsst sie über dem Reichstag hissen als Symbol dafür, dass der Krieg beendet ist.“ Und diese Aufklärer kämpfen sich mit Maschinenpistolenschützen zum Dach hoch und befestigen die Fahne über dem Giebeldreieck der Ostwand am 30. April um 21:50 Uhr.

Und am 2. Mai, nachdem Berlin sich ergeben hat, tragen sie die Fahne zur Kuppel hoch, und unser Sieg strahlte am Firmament des blauen Maihimmels. Und die Welt blickt nicht auf den Reichstag, sondern auf Russland, auf die Mutter Russland. Das war sie. Ihr Volk hat mit dieser Schlacht die SS und das andere Gesindel besiegt und hat dem großen Russland den Frieden zurückgebracht.

Links vom Reichstag im Rauch steht die Neue Reichkanzlei von Adolf Hitler. Der Reichskanzler, der den Zweiten Weltkrieg entfachte, hat sich am 30. April erschossen, und seine Leiche wurde verbrannt.

Kinder, neben dem Brandenburger Tor, ganz weit rechts, wurde Ende April folgende Szene beobachtet: Es wurde geschossen, eine kleine Gruppe von deutschen Frauen mit ihren Kindern lief hastig hin und her auf der Suche nach einer Deckung. Von unserer Seite wurde beim Anblick der Zivilbevölkerung das Feuer eingestellt. Die Deutschen haben dagegen auf die eigenen Menschen geschossen. Die eine Frau, tödlich getroffen, ist bereits gefallen, und ein Mädchen von ungefähr vier Jahren hat zu suchen begonnen und nach der Mutter zu rufen. Aus unserem Schützengraben stieg ganz schnell der Obersergeant Iwan Odartschenko. Er kam, nahm das Mädchen, hat es weggebracht, hat einen Schritt weg getan. Und in dieser Zeit kam wieder ein deutscher Feuerstoß. Und der Ober­sergeant sank nieder und fünf Tage danach starb er. Seine Todesurkunde konnte man an niemanden schicken: Hitleranhänger haben seine ganze Familie schon in den ersten Monaten des Krieges vernichtet.

In der Nacht zum 9. Mai, im Berliner Vorort Karlshorst, wurde die Akte über die bedingungslose Kapitulation unterzeichnet. Im Namen des sowjetischen Volkes hat sie der Marschall Schukow unterzeichnet, von der deutschen Seite der Generalfeldmarschall Keitel.

Und der Große Vaterländische Krieg war zu Ende.

Und nach dem Krieg hat unser Bildhauer Jewgeni Wutschetitsch im Berliner Treptower Park das Denkmal für den gefallenen sowjetischen Soldaten errichtet, den Sieger mit dem geretteten Mädchen im Arm …

EINSCHALTUNG DER BESCHALLUNG: Kampfgeräusche und Radiostimme

… Hier spricht Moskau. Aus dem sowjetischen Informationsbüro:

Die Streitkräfte der 1. Weißrussischen Front unter dem Befehl von Marschall der Sowjet­union Schukow konnten mit der Unterstützung durch die Streitkräfte der 1. Ukrainischen Front unter dem Befehl von Marschall der Sowjet­union Konew nach beharr­lichen Straßenkämpfen den Widerstand der Berliner Gruppe der deutschen Streitkräfte zerschlagen und haben heute, am 2. Mai, endgültig die Macht ergriffen über die Hauptstadt von Deutschland, die Stadt Berlin  …

 

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Sturm auf Berlin. Diorama: Ansicht 2
Storming of Berlin. Diorama: View 2
Moscow 2009
Apple HDV / Quicktime Movie H.264 / 1920×1080 / 25p
Partially Sound. 1 h 30 min. Loop